Ensemble Leones
"Neidhart - A Minnesinger and his Vale of Tears"
Bei allem, was Recht ist: die gewohnt hässliche Covergestaltung
von NAXOS, mit der sattsam bekannten Neidhart-Abbildung aus dem
Codex Manesse und dazu der - mit Verlaub - selten dämliche
Titel "A Minnesinger and his Vale of Tears: Songs and Interludes."
(Jaja, ein deutschsprachiger Titel würde sich gewisslich schlechter
verkaufen im angelsächsischen Raum. Verlagspolitik halt) machten
es mir schon sehr schwer, die CD überhaupt in den Player einzulegen.
Gleich zu Anfang ertönt - ein Dudelsack! Da zuckt der Finger
schon kräftig Richtung "aus!".
Wenn da nicht … ja, wenn da der Dudelsack nicht so richtig
gut gespielt wäre. Gut klingend, sauber intoniert sowieso,
hervorragende Rolls und Verzierungen, dramatische, schwermütige
Interpretation eines Neidhart-Stückes. Der Opener ist somit
gleich richtungsweisend für die ganze CD: diese ist nämlich
tief traurig und trifft den CD-Titel dann doch bemerkenswert exakt:
Ein Minnesänger und sein Jammertal! Hier ist endlich einmal
_kein_ bäuerliches Gekrächz zu hören, keine 3/4Takt-bäuerliche-Tanz-Lieder,
keine "derb-satirische"-Interpretation, wie man es sonst
unter dem Stichwort "Neidhart" zu hören gewohnt ist.
Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die Interpreten
um Marc Lewon (Els Janssens-Vanmunster, Baptiste Romain) die früheste
erhaltene (Melodie-)Quelle zu Neidharts Liedern bearbeiteten. Um
1300 geschrieben, ist sie somit mit Abstand die zeitlich am nächsten
zu Neidharts Lebenszeit liegende Handschrift. (Und somit zeitlich
sehr nah am Codex Manesse.) Und das kann man hören! Selbst
so bekannte Melodien wie "Sinc eyn gulden hoen" klingen
anders - weil die frühere Quelle eben eine ähnliche -
aber doch gänzlich andere Melodie überliefert, als spätere
Abschriften (welche zum Großteil erst aus dem 15. Jahrhundert
stammen).
Gleichzeitig wird auch klar: Neidhart war eben kein Bauer. Er sang
auch nicht über die sog. "Dörper". Er sang vom
Verfall der Sitten seiner adeligen Standesgenossen. Wie müssen
diese gefeixt haben, über die vermeintlich dummen Streiche
der Bauern - nichtsahnend, dass sie selber Zielscheibe des Spottes
waren.
|
|
Auch wenn das schon damals Teil des Konzepts,
wenn es also zum Großteil nur "Show" war - wie verbittert
muss der Neidhart darob gewesen sein. Diesen Eindruck gewinnt man
zumindest beim Hören der CD. Das Jammertal, das Reuental wird
so durch Hören gleichsam erfahr- und begreifbar.
Nichtsdestotrotz war es aber wohl doch dieser Spott, diese Satire,
welche dafür sorgte, dass das Werk Neidharts so beliebt wurde
und in reicherer Zahl überliefert ist.
Alle Stücke wurden mit allen Strophen eingespielt, was - um
etwaige Ängste gleich zu dämpfen - keinesfalls langweilig
wird, schließlich werden auf dieser CD keine Lieder "runter
geschruppt", sondern Geschichten erzählt. Die Melodien
ordnen sich in dieser Einspielung derartig dem Text unter, wie man
es so bei Minnesang-Interpretationen eher selten hört.
Neben den 6 Stücken der frühen Handschrift gibt es noch
einige Minnesangstücke zu hören. (Wunderbar: "Guoten
wib wol üch der eren", des Tugendhaften Schreibers - nach
einer Melodie der Jenaer Liederhandschrift - alleine dafür lohnt sich der Kauf der CD - auch wenn dieses Stück
ja nun nichts mit Neidhart zu tun hat). Bemerkenswert auch: "Ich
claghe de blomen". Ein 9einhalb Minuten Stück, von Els
Janssens-Vanmunster im Solo vorgetragen. Ohne instrumentale Begleitung.
Einfach 9 Minuten lang gesungene Geschichte. Herrlich! Der Download
der leider nicht im Booklet enthaltenen Texte hilft beim Verständnis
des Geschehens. (Da man den Link etwas suchen muss, hier unser Service:
Songtexte Neidhart
Einige hübsche und angenehm arrangierte Instrumentalstücke
(dass die Jungs auch "fetzen" können hört man
beim "Hedamerschol") runden die Aufnahme stilistisch passend
ab.
Anspieltipps: Guoten wib wol üch der eren, Ich claghe de blomen,
Der hedamerschol, Allez daz den sumer.
Kurzes Fazit: eine Perle in rauher Schale! (mu)
zurück...
|